Writing About the Natchez

Liebe Leserinnen,

liebe Leser,

 

manch eine/einer von Ihnen/Euch wird sich bei einem Blick auf die vorangegangenen Seiten gefragt haben, wie man eigentlich auf die Idee kommen kann, über die Kultur, die Lebensweise und die Diaspora der Natchez zu schreiben. Auf der folgenden Seite will ich versuchen, einige meiner eigenen Motive hierfür darzustellen. Diese sind zugegeben sehr personenbezogen und jede/jeder, die/der sich mit den Natchez beschäftigen möchte oder sich bereits beschäftigt, wird ihren/seinen eigenen Zugang zu dieser ethnischen Gruppe finden müssen.  

Ausgelöst wurde mein Interesse an diesem Thema während meiner Studienzeit der Soziologie und Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt, die nun schon Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte, zurückliegt. Einer meiner damaligen Prüfer in der Diplomprüfung im Fach Soziologie und akademischer Lehrer für die Ethnologie Nordamerikas schlug mir vor, einmal ausführlich die Sozialstruktur der Natchez zu untersuchen, die in der Form, wie sie in den zeitgenössischen Schriften dargestellt wird, einige Rätsel aufgibt. Dieser Vorschlag ließ sich ganz gut mit dem Gegenstand meiner Diplomarbeit, der Zeit der vor-inkaischen Hochkulturen in Peru, vereinbaren, hatten doch auch die berühmten Mississippi-Kulturen, zu denen die Natchez gehörten, ähnlich wie jene Kulturen in Südamerika bereits sehr differenzierte Gesellschaftsstrukturen ausgebildet, die die Grundlage zu noch komplexeren Strukturen wurden oder hätten werden können. 

Also ging ich an die Arbeit, studierte die einschlägigen schriftlichen Quellen und erarbeitete mir einen reichhaltigen Fundus an Informationen, die geeignet waren, das gesellschaftliche Gefüge der Natchez näher zu beleuchten. Doch dann bekam ich glücklicherweise oder leider, ganz wie man will, eine unbefristete Anstellung in einem Verlag. Anfangs gab ich mich noch der naiven Hoffnung hin, beide Tätigkeiten ließen sich miteinander vereinbaren. Die Worte meines Lehrers, Prof. Wolfgang Lindig (Nachruf von Peter Bolz in Paideuma  67, 2021), der mir damals den Forschungsauftrag anvertraute, "Das haben schon viele versucht," habe ich heute noch im Ohr. Die Skepsis, die in diesen Worten zum Ausdruck kommt, ist mit Händen zu greifen. Versucht haben eine solche Zweigleisigkeit schon viele, "aber erreicht," könnte man den Satz ergänzen, "nur sehr wenige." Genau das ist dann auch eingetreten. Eine Dissertation kann man nicht als Hobby betreiben. Man muss sich voll und ganz darauf einlassen und darf nicht durch andere Aufgaben abgelenkt sein, anders geht das nicht. Gleichzeitig erwartet natürlich auch jeder Arbeitgeber, dass man seine Arbeitskraft ausschließlich für seine Zwecke nutzt.

Das war jetzt zunächst die offensichtliche Seite meiner Motivation, über die Natchez zu schreiben. Daneben gibt es aber vielleicht auch eine verborgene psychische Seite. Indem die Aufgabe an mich herangetragen wurde, neuere Informationen über die Natchez-Gesellschaft auszuwerten, war eine Erwartung in mich gesetzt worden, die ich enttäuscht habe. In der Rückschau empfinde ich es als Fehler, über meine weiteren beruflichen Ziele im Unverbindlichen geblieben zu sein. Dem mit den Erwartungen an mich verbundenen Vertrauen ein Stück weit gerecht zu werden, hilft mir, Unbehagen über die entstandene Situation abzubauen. Ein Ziel, das ich mir selber gesetzt habe, war durch meine Entscheidung, mich beruflich zu engagieren, einfach unbearbeitet in der Schublade liegen geblieben. Ich wollte ein wenig Verständnis wecken für eine andere Gesellschaft mit einem anderen Wertesystem, das die gleiche Daseinsberechtigung hat und genauso wertvoll ist wie unser eigenes. Dieser  Intention wurde in jüngster Zeit sogar noch eine weitere Facette hinzugefügt. Die Vertreibung der Natchez aus ihrer Heimat und ihre Reaktion darauf zeigt uns, wie man mit erzwungener Flucht und einem Leben in der Diaspora umgehen kann. Und bereits in traditioneller vor-europäischer Zeit verfügte die Gesellschaft der Natchez über einen Mechanismus, der es ihr ermöglichte, fremde Gruppen in ihr Sozialgefüge aufzunehmen und ihnen darin einen anerkannten Platz zuzuweisen. Diese Fähigkeit erwies sich als Stärkung der eigenen Gesellschaft und nicht als Schwäche.

Erst, als ich etwas früher als üblich aus dem Beruf ausschied, konnte ich mich wieder meiner Forschungsarbeit widmen. Nur war jetzt die Zeit über mich hinweggegangen. Welchen Stellenwert meine Arbeit heute noch hat, kann ich nur sehr schwer einschätzen. Der Kontakt zur Hochschule war abgebrochen. Nun stand ich also da mit meinen vielen in Ordnern und die neueren auch in Pc-Dateien gesammelten Informationen und wusste nicht, wie ich mit ihnen umgehen sollte. Mir war nur klar, sie einfach so verstauben und vergammeln zu lassen, das wollte ich nicht. Dazu war mir meine geleistete Arbeit dann doch zu schade. Also entschloss ich mich, sie in eine Form zu bringen, in der sie für andere Interessenten greifbar waren.        

Copyright: K.-H. Hörner

 

Diese Arbeit vollzog sich, wie das bei Schreibarbeiten nun mal so üblich ist, am Schreibtisch und in dessen Umgebung. Die beigefügten Bilder mögen einen Eindruck hiervon vermitteln. Außerdem mussten zahlreiche Bibliotheken und Archive durchforstet werden auf der Suche nach geschriebenen historischen Quellen, zumeist zeitgenössische Aufzeichnungen, Reiseberichte oder geografische Karten. Insoweit verlagerte sich die Arbeit anfangs auch nach außen. Eine rein historische Auswertung der alten Dokumente kann es dabei belassen. In der Sozial-Anthropologie oder Ethnologie kommt die Feldforschung als ein Arbeitsplatz noch hinzu, an dem Fakten unmittelbar erhoben werden können. Diese kann in Bezug auf eine Gruppe, die über viele Regionen und Länder verstreut wurde und deren Leben in der Diaspora untersucht werden soll, kaum in Form der traditionellen teilnehmenden Beobachtung erfolgen. Andere Techniken müssen hinzukommen wie etwa die von Interviews dort, wo die Menschen leben, um die es geht. Diese Arbeit ist hinsichtlich der Natchez noch weitestgehend zu leisten und sollte von jüngeren Kolleginnen und  Kollegen durchgeführt werden. Es ist zu wünschen, dass möglichst viele Nachwuchsforscherinnen und  -forscher sich inspirieren lassen mitzuhelfen, die Natchez aus der Vergessenheit zu holen und ihnen einen angemessenen Platz in der wissenschaftlichen Welt zu sichern. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass indirekt auch die Arbeitsplätze von Nachbardisziplinen wie etwa die der Archäologie dann eine Rolle spielen, wenn deren Erkenntnisse mit in die Betrachtung der Natchez einbezogen werden sollen.

 

K.-H. H.

Copyright: K.-H. Hörner

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